Wird die Landesbank ein Gemeinwohl-Finanzinstitut?

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Gruppe von 10 Personen im Kreis mit Anleiterin

Unter theaterpädagogischer Anleitung von Lia Hiller (rechts) wurden die Szenen durchgespielt. (Foto: Christoph Zanker)

MBA-Studierende des Campus of Finance an der HfWU spielen selbst konzipierte Drehbücher zur Transformation durch – mit ziemlich radikalen Ideen zum Beispiel für die Landesbank.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist not amused. Da wird er von der Landesbank als Eigentümer-Vertreter zu einem Meeting geladen, und plötzlich legt ihm der Vorstand ein derart radikales Zukunftskonzept auf den Tisch: Die LBBW möchte ein gemeinwohlorientiertes Finanzinstitut werden! Alles „nur“ Theater – aber ein überaus realitätsbezogenes Theater: MBA-Studierende des Instituts Campus of Finance an der HfWU haben spannende Zukunftsszenarien buchstäblich durchgespielt.

„Und was ist, wenn unsere Dividende von 400 Millionen Euro ausbleibt? Das Land braucht dringend das Geld, meine Herren“, poltert der grüne Regierungschef, gespielt von einem Dozenten. Die drei „Vorstandsmitglieder“ bleiben ruhig: Gemeinwohlökonomie sei eine große Chance für das Land und seine Bürger. Man setze damit ein starkes Zeichen für die nachhaltige Entwicklung und für neue gesellschaftliche Werte, argumentieren sie. Außerdem könne die jährliche Dividende künftig sogar noch höher ausfallen, die Landesbank wirtschafte ja sehr gut. Das Geld werde dann halt gemeinwohlorientiert reinvestiert. Kretschmanns anfänglicher Ärger legt sich im Laufe des Gesprächs erkennbar, weicht nach und nach einem spürbaren Interesse. Hat nicht auch die Philosophin Hannah Arendt, die er so gerne zitiert, irgendwann einmal etwas Positives über den Wert von Visionen gesagt?

Im Modul „Futures Thinking“ haben die Nürtinger MBA-Studierenden aus den Vertiefungen Strategic Foresight, Finanzen, Produktion und Immobilien solche Szenarien zuvor in Gruppen als Drehbücher zur Transformation erarbeitet. Unter theaterpädagogischer Anleitung von Lia Hiller erleben sie jetzt in selbst vorbereiteten Szenen, wie Meetings, Mitarbeitergespräche oder Betriebsversammlungen ablaufen könnten, in denen eine Organisation zur Zukunftsreise in eine andere, werteorientierte, nachhaltige und sogar holokratische Unternehmenswelt aufbricht.  

Der einige Wochen zuvor gelaufene Workshop mit dem renommierten TV-Autor Jürgen Werner hat nachgewirkt. Inspiriert von den erstaunlichen Parallelen zwischen dem Verfassen eines Drehbuches und der Entwicklung von Zukunftsszenarien, haben die MBA-Studierenden verschiedene Meilensteine für die Transformationsreise eines Unternehmens erarbeitet. Und konkrete organisationsinterne oder -externe Situationen, in denen diese Szenarien zentralen Stakeholdern vermittelt werden. Sie greifen dabei auf ihre Erfahrungen in den Firmen und Banken zurück, in denen sie parallel zu ihrem berufsbegleitenden Masterstudium arbeiten.

Ihre Ideen sind dabei wirklich visionär: Das Unternehmen Stihl, Markt- und Technologieführer im Bereich Motorsägen und Motorgeräte, hat das ehrgeizige Ziel, zu einem Nachhaltigkeits-Weltchampion zu werden. Eine Versorgungsanstalt für medizinische Berufsgruppen will gar zur holokratischen Organisation mutieren, in der nicht mehr eine kleine Führungsriege das Sagen hat, sondern unterschiedliche Rollen und Kreise von Mitarbeitenden das Leben der Einrichtung partizipativ bestimmen. Und gleich mehrere Unternehmen haben sich dem Ziel verschrieben, aus der jahrzehntelangen Profitorientierung auszusteigen und zur Gemeinwohl-Organisation zu werden.

Die sechs Studierendengruppen haben die Meilensteine dieser Zukunftsreisen in ganz unterschiedlicher Form gesetzt: die einen in betont sachlicher Darstellungsart, wie sie aus realen Geschäftsberichten oder Strategiekonzepten bekannt ist, die anderen in erzählender Weise, als „echte“ Drehbücher. Alle ihre Präsentationen führen weit hinein in die Chancen, aber auch Herausforderungen solcher visionären Konzepte.

Jetzt geht es daran, konkrete Szenen dieser Zukunftsreisen szenisch zu spielen. Von Lia Hillers Theater-„Aufwärmtraining“ motiviert, werden Meetings mit Entscheidern und Mitarbeitern vorbereitet. Oder ganze Betriebsversammlungen. Bühne frei! Zwei Studierende mimen gleich mehrere Personen: den Innovationsmanager, der das visionäre Zukunftskonzept im Auftrag der Geschäftsleitung erarbeitet hat, dessen CEO, den Betriebsratsvorsitzenden und den Wahlkreispolitiker, der im heimischen Dialekt von den großen Chancen der Gemeinwohlökonomie schwadroniert. Auf Fragen aus der Belegschaft sind die Herren bestens vorbereitet. „Lasst uns diesen neuen Weg gehen!“, feuern sie sich und die Mitarbeiter an. Eine andere Gruppe baut die Möglichkeit des Scheiterns in den Versuch ein, vom rein profitorientierten Geschäftsansatz wegzugehen. Als bei den Mitarbeitern nach anfänglicher Euphorie zunehmend Skepsis und auch Angst spüren ist, denkt die Firmenchefin schon ans Aufgeben – bis sie sich selbst ändert und ihr eine zündende Idee kommt.

Das dickste Brett bohrt der MBA-Student, der durchspielt, wie in einer Versorgungsanstalt starre Hierarchien ziemlich radikal eingerissen werden könnten. Sein Holokratie-Plan entfacht eine intensive, mitunter hitzige Diskussion. Wie im richtigen Leben. Er bleibt cool. Mit immer neuen Argumenten versucht er das Mitarbeiterteam davon zu überzeugen, dass es von der Umsetzung dieser Vision profitieren kann. Wie auch die Drei von der Landesbank jede Kritik seitens des Ministerpräsidenten, des Oberbürgermeisters und Sparkassenpräsidenten rhetorisch gekonnt parieren. Selbst als überraschend der Finanzminister, gespielt von Studiendekan Prof. Dr. Christoph Zanker, ziemlich verärgert in das Meeting platzt („Warum war ich nicht informiert?“), lassen sich die „Vorstandsmitglieder“ der Bank nicht aus dem visionären Konzept bringen.

Kreativität und gleichzeitig strukturiertes Vorgehen, Mut, (Selbst-)Vertrauen, Mehrperspektivität, Selbstkritik und Überzeugungskraft – viele wichtige Zukunftskompetenzen haben die Studierenden ein- und umgesetzt. Am Ende steht die Reflexion über die gespielte Transformation. „Nur optimistisch kann der Wandel vorangetrieben werden“, meint eine MBA-Studentin. „Von Gedanken wie ,Das machen wir schon immer so‘ möchte ich mich in Zukunft nicht abhalten lassen und einfach mal die Gegenfrage stellen: Warum ändern wir das nicht, was haben wir zu verlieren?“ 

Die berufsbegleitenden MBA-Programme des Campus of Finance sind eine der ersten Programme im deutschsprachigen Raum, die Strategic Foresight, Future Literacy und FutureS Thinking in das Curriculum für die Management-Ausbildung integriert haben.

Die neuen MBA- und Zertifikatskurse starten im April 2025.