avela Resolution zu gebietsheimischen Ansaaten Mai 2022
Seit über 12 Jahren arbeiten wir intensiv zusammen, um den Transfer von Wissenschaft in
Praxis und umgekehrt sowie Forschung und Weiterbildung hochwertig zu entwickeln.
Wir stehen in unserer Zusammenarbeit für eine nachhaltige Entwicklung und naturnahe
Gestaltung von städtischen Freiräumen und Landschaften, und beschäftigen uns mit
unterschiedlichsten Themenschwerpunkten in diesem Feld.
Aufgrund unsere Verantwortung für unsere Zukunft, sehen wir es als unsere Pflicht an
besonders das Thema Biodiversität in das Bewusstsein der Fachöffentlichkeit zu rücken und
zu vertiefen. Wir haben dieses Thema zudem wiederholt in Tagungen thematisiert.
Biodiversität statt Insektensterben - Saatgut zur Schaffung neuer Lebensräume
Um die Trendwende in der Biodiversitätskrise zu schaffen, müssen dringend großflächig
neue Habitate angelegt, bestehende aufgewertet und besser vernetzt werden.
§ 40 BNatSchG fordert seit März 2020 den Einsatz von gebietseigenem Saat- und Pflanzgut
in der freien Natur.
Mit der geplanten Aufteilung des Landes in 22 Ursprungsgebiete (UG) will Deutschland die
höchste Kleinräumigkeit in Europa vorgeben. Dies geschieht aber in Unkenntnis der
genetischen Differenzierung der meisten Wildpflanzenarten. Zudem kann der zu erwartende
hohe Bedarf an geeignetem Saatgut für die Anlage und Aufwertung von Lebensräumen für
diese geplante Kleinräumigkeit derzeit nicht in ausreichendem Maße UG-treu gedeckt
werden. Hintergrund ist, dass bis heute nicht genügend Betriebe auf die anspruchsvolle und
risikoreiche Produktion von Wildpflanzensaatgut auf dem Markt sind. Zudem wird der Einsatz
von gebietseigenem Saatgut vom behördlichen Naturschutz zwar gefordert, die Erzeuger
erhalten aber kaum Unterstützung von öffentlicher Seite.
Probleme durch restriktive Vorgaben
Der Leitfaden zur Umsetzung von § 40 durch das Bundesamt für Naturschutz, der gerade in
Bearbeitung ist, legt den Fokus v.a. auf den Schutz der genetischen Vielfalt innerhalb einer
Art und setzt sehr enge Vorgaben, um Florenverfälschung zu vermeiden. So wird v.a. der
Ersatz wichtiger fehlender Arten aus angrenzenden Ursprungsgebieten unter
Genehmigungsvorbehalt gestellt. Viele Belange der Fauna bleiben durch diese sehr enge
Perspektive aber unberücksichtigt.
Auch die Empfehlung, den sogenannten Artenfilter anzuwenden, führt zu weiteren nicht
nachvollziehbaren Restriktionen und einer Verarmung. Dieses Instrument schließt seltenere
Pflanzenarten aus und fördert den Einsatz einer beschränkten Zahl weit verbreiteter Arten.
Die Ansaat von Habitaten mit artenarmen Mischungen ist für die Belange der Insektenvielfalt
problematisch. So kann sich der erforderliche Artenreichtum der Arten nicht ausreichend
einstellen.
So wird die Fokussierung auf den Schutz der innerartlichen genetischen Vielfalt der Pflanzen
zum Hemmnis für die effektive Förderung der Artenvielfalt im Ganzen. Die geplanten
Restriktionen führen zum Einsatz artenarmer, unvollständiger Mischungen, die das Ziel der
Insektenförderung und abhängiger Arten verfehlen. Somit schwinden die Chancen, das
Überleben zahlreicher Tierarten zu sichern, da viele Insektenarten eng an einzelne Arten
bzw. Gattungen gebunden sind.
Resolution an die Bundes- und Landesverwaltungen im
Naturschutz und der Landwirtschaft:
Die Anstrengungen zur Schaffung und Aufwertung von Biotopen, um den Artenschwund zu
stoppen müssen verstärkt werden. Zur Schaffung funktionierender Lebensräume muss der
Einsatz von artenreichen, gebietseigenen Wildpflanzensaatgutmischungen Vorrang
bekommen. Dies darf aber nicht zu einer ungeregelten Freizügigkeit beim Umgang mit
Saatgut führen.
Für einen ganzheitlichen Naturschutz ist eine ökosystemare Betrachtungsweise notwendig
aber auch praktikable Vorgaben bei der Verwendung von Wildpflanzensaatgut. Das Ziel, die
genetische Vielfalt innerhalb der einzelnen Pflanzenarten zu erhalten, ist mit den
Auswirkungen auf die ganzheitlichen Aufgaben des Naturschutzes abzugleichen. Die Ziele
des Naturschutzes sollten offen diskutiert und auch die historische Entwicklung der
Biodiversität, die Wirkungen des Klimawandels, die Unsicherheit und Veränderlichkeit von
Arealgrenzen berücksichtigt werden.
Auch ist die Wirkung jeder einzelnen Maßnahme auf die Fauna unbedingt zu
berücksichtigen. Artenreiche Mischungen dürfen nicht durch Aspekte der innerartlichen
Vielfalt verhindert werden, sondern als Trittsteine in der Landschaft eingesetzt werden.
Wir fordern daher:
§ 40 BNatSchG sollte Vorkommensgebiete so definieren, dass Wildsamenmischungen bei
Nicht-Verfügbarkeit einzelne Arten aus benachbarten Ursprungsgebieten enthalten
dürfen.
es sollten grundsätzlich artenreiche Mischungen bevorzugt werden
der vom BfN favorisierte Artenfilter sollte durch UG-spezifische Artenlisten ersetzt werden,
die unter Einbeziehung ökosystemarer Kriterien interdisziplinär entwickelt und
fortgeschrieben werden sollten
die Artenlisten sollten auch festlegen, welche Arten bei mangelnder Verfügbarkeit
genehmigungsfrei aus benachbarten, standörtlich ähnlichen Ursprungsgebieten ersetzt
werden können
die Wildpflanzensaatgutproduktion durch unterschiedliche Maßnahmen zu fördern:
- Jährliche, lückenlose Kontrolle der Vermehrungsflächen von Wildarten, wie es auch bei
Zuchtsorten Vorschrift ist, um eingeschleuste, nicht regionale Ware auf dem Markt zu
verhindern und artenreiche Mischungen im Markt zu ermöglichen
Befähigung von Mitarbeitern im Naturschutz zur Kontrolle der Saatgutbetriebe durch
Fortbildung im Saatgutbereich - ggf. auch Schaffung zusätzlicher Stellen dafür.
Prof. Sigurd-Karl Henne
Institutsleiter der Akademie für Landschaftsbau und Vegetationsplanung ( avela )
Wissenschaftlicher Leiter der Lehr - und Versuchsgärten ( LVG )
Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen