NÜRTINGEN (hfwu). Zum Auftakt von „Coming in! Das Fest für Outsider Art“ in Nürtingen luden die Hochschulstudiengänge Künstlerische Therapien der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) zu einer Fachtagung zum Thema nach Nürtingen ein. Im Rahmen der Tagung und des Festivals wurden zudem verschiedene Ausstellungen eröffnet.
Die Tagung sollte eine Plattform bieten, um nach Jahren der immer prominenteren Platzierung von Outsider Art im Kunstdiskurs einen kritischen Blick auf Inklusion und Aneignung im Bereich der Künste vorzunehmen. „Bildnerisch zu schaffen, kann auf der einen Seite alle Menschen einschließen. Andererseits ist der Rahmen der Kunst immer mit Wertung und Exklusivitätsanspruch verbunden“, so Prof. Dr. Tobias Loemke, an der HfWU Dekan der Fakultät „Umwelt Gestaltung Therapie“. An der Spannung, die zwischen diesen beiden Feldern entstehe, setze die Tagung an.
Der Begriff „Outsider Art“ bezeichnet oft verblüffend originelle künstlerische Werke, deren Urheber zumeist nicht in den Kunstbetrieb eingebunden sind und oft aus einem besonderen existentiellen Impuls heraus schaffen. Nicht selten handelt es sich um Männer und Frauen mit Psychiatrieerfahrung oder geistiger Behinderung. Auch wenn der Begriff kritisch diskutiert werden muss, taugt er nach wie vor zu einer Differenzierung.
Das Referat des Leiters der Sammlung Prinzhorn, Dr. Thomas Röske, stand am Anfang der zweitägigen Tagung an der HfWU in Nürtingen. „‘Kunst‘ ist kein neutraler, unproblematischer Begriff“, betonte Röske. Der Kunsthistoriker und Ausstellungsmacher zeigte, wie sich Outsider Art außerhalb des Kunstbetriebs entwickelt hat. Der etablierte Kunstbetrieb stellt sie – vermeintlich gut gemeint – oft in faktisch diskriminierender Weise aus, wie Röske an zum Teil drastischen Beispielen zeigte. Ein Gegenentwurf dazu ist für Röske das Konzept des „Offenen Ateliers“. Ein offener Raum, in dem nicht der individuelle Urheber im Fokus steht, sondern verschiedenen Menschen verbunden durch gemeinsame Schaffensfreude in einem Kollektiv arbeiten. „Darin steckt ein unglaubliches Potenzial“, ist der Kunsthistoriker überzeugt. Sein Ausblick und Fazit: Psychische Erkrankungen und geistige Behinderung müssen künftig in der Gesellschaft weiter entstigmatisiert werden und deswegen auch als Thema in Ausstellungen präsenter sein, nicht zuletzt mit der Kunst betroffener Menschen. Wenn aber der Kunstbetrieb mehr und mehr eine kreative Minderheit einbezieht, dann müsse auch der (Mehrheits-)Kunstbetrieb sich selbst überdenken und verändern.
Im anschließenden Referat berichtete Professorin Sara Schwienbacher unter dem Titel „Zerreißprobe“ von ihren Erfahrungen mit künstlerischen Projekten in inklusiven Gruppen. Schwienbacher ist Professorin für Kunsttherapie an der Hochschule für Künste im Sozialen (HKS) in Ottersberg und Performancekünstlerin. Als konkretes Anschauungsbeispiel für die Arbeit in einem offenen Atelier stellte Schwienbacher unter anderem das Projekt PAULA vor. Das bundesweit etablierte Konzept, benannt nach der Malerin Paula Modersohn-Becker, erprobt innovative Ansätze und neue Formen der künstlerischen Vermittlung mit einem besonderen Arbeitsprinzip. Ausgangspunkt ist dabei ein künstlerischer Anfangsimpuls, etwa in den Räumen einer Kunstausstellung. Die Teilnehmenden – Kinder, Schüler, Ältere, Menschen mit Behinderung – reagieren im weiteren Verlauf aktiv künstlerisch auf das im Raum Vorhandene und verändern die Werke nach eigenem ästhetischem Empfinden. Das Ganze wird so zu einem lebendigen Kunstwerk aller Beteiligten. „Vermittlung wird zum partizipativen Moment“, so Schwienbacher, „solche Räume ermöglichen zudem eine Verschränkung von künstlerischer Forschung und künstlerischer Vermittlung“. Theoretisch fundiert ist ihre Arbeit im Resonanz-Konzept des Soziologen Hartmut Rosa, wie die Wissenschaftlerin anhand verschiedener Aspekte zeigte.
Am zweiten Tag der Tagung standen weitere Referate und eine abschließende Podiumsdiskussion zum Thema „Perspektiven zwischen Inklusion und Exklusivität der Künste“ auf dem Programm. Zu diesem gehörten neben den wissenschaftlichen Vorträgen verschiedene Vernissagen. So wurden im Rahmen der Tagung und des Festivals die Ausstellung „Malerei und Zeichnung“ von Normann Seibold, sowie „Farbe.Froh.Leben! Eine Ausstellung für Kunst der besonderen Art“ in der Kreuzkirche in Nürtingen und im Schauraum des Kunstvereins Provisorium die Ausstellung „O.U.T.“ von Florian Müller eröffnet.