GEISLINGEN/NÜRTINGEN (hfwu). Atemberaubend, was Künstliche Intelligenz heute bereits kann. Das zeigte ein Vortrag im Rahmen des Studium generale an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU). Aber ist Bild, Musik oder Film, die in beliebiger Gestalt in Sekundenschnelle kreiert werden, tatsächlich etwas kreativ Neues?
Eine Stimme, die sich anhört wie eine Mischung aus Reinhard Mey und Nikolaus singt zur Gitarre „die Zahlen tanzen wild – jeder Cent wird schnell gezählt – wir sparen fleißig wie ein Kind – in der Hoffnung, dass es hält“. HfWU-Professor Dr. Burkhard Hoppenstedt hatte darum gebeten, dem KI-Liedgenerator eine Aufgabe zu stellen. „Ein Kinderlied zur aktuellen wirtschaftlichen Lage in Deutschland“, wollte ein Besucher des Studium-generale-Abends hören. Drei Sekunden braucht die KI und der Mey-Nikolaus-Klon bringt den gewünschten Song mehrstrophig zu Gehör.
„Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff Kreativität eher schwammig verwendet“, erklärte Hoppenstedt. Gemeinsam haben exakte Definitionen, dass kreativ zu sein bedeutet, etwas Neues zu schaffen. In diesem Sinn billigte der Professor für betriebliche Informationssysteme und Digitalisierung der singenden KI keine echte Kreativität zu. „Hier ist das Neue nur ein Remix von Altem.“ Zudem gehöre zu Kreativität etwa auch die Fähigkeit, gute Ideen von schlechten unterscheiden zu können, zu Assoziationen und Perspektivenwechsel fähig zu sein und auch Erfindergeist und Fantasie.
Gleichsam lassen sich an die KI verschiedene Maßstäbe anlegen. Der Wissenschaftler unterschied vier Typen oder Stufen. Typ 1 sind „reaktive Maschinen“, sie bewältigen eine einzige Aufgabe, eben die, für die sie programmiert sind. Typ 2 ist KI, die über eine gewisse Speicherkapazität verfügt und so Daten vergangener Situationen auf das aktuelle Geschehen anwenden kann. Auf diesem Level befindet sich die Technologie aktuell. Den nächsten Schritt, Typ 3, nennt Hoppenstedt „Theorie des Geistes“. Diese Programme werden ein Gedächtnis haben und ihr Bild von der Welt auf Basis des Gelernten erweitern können. Haupteigenschaft von Typ 4 schließlich wird die Selbstwahrnehmung sein. Diese Maschinen nehmen die Welt vollständig wahr, können menschliche Emotionen, Absichten und Reaktionen nachvollziehen und entsprechend handeln.
Es folgte ein kurzer Ausflug in die Theorie der KI-Programmierung und den verschiedenen Grundkonzepten dafür. Das Fazit des Abends, zu dem rund 50 Interessierte an die HfWU in Geislingen (Steige) gekommen waren: KI erzeugt in kreativen Aufgaben immer bessere Ergebnisse. Sie fungiert hierbei als Partner, der die Erstellung von Inhalten beschleunigen, Varianten aufzeigen und generell kreative Grenzen erweitern kann. „Aber KI ist immer noch der bessere Co-Pilot. Die Menschen sollten die Dinge in der Hand behalten“, so Hoppenstedt. Dies erfordere auch eine gewisse Medienkompetenz, die es zu fördern gelte.
Trotz der beeindruckenden Beispiele ist der Medieninformatiker überzeugt, „menschliche Wahrnehmung zu verstehen, davon ist KI noch weit entfernt“. Zu Verdeutlichung verweist der Freizeit-Kirchenmusiker auf „4‘33“, das wohl bekannteste Stück des Komponisten John Cage – ohne eine einzige Note. Vier Minuten und 33 Sekunden Zeit für alles im Publikum entstehende Hörbare und nicht Hörbare. Kreativität einer Art, von der die heutige Künstliche Intelligenz (noch) keine Ahnung hat.